Das chinesische Modell - Aufstieg oder Niedergang?

Die meisten Voraussetzungen für die Zukunft haben eines gemeinsam: Sie schreiben im Wesentlichen Trends mehr oder weniger linear fort. Das klingt auf den ersten Blick logisch. Es hat aber nichts mit einer gründlichen Analyse zu tun. Würden wir heutige Trends einfach fortschreiben, würden wir in naher Zukunft im Schnitt 2,10 Meter groß sein, 99 Jahre alt werden und die Welt wäre von 12 Milliarden Menschen bevölkert. Unsere Ozeane würden aus Plastik bestehen und es gäbe keine Bäume mehr.

Diesen Fehlschluss sehen wir leider häufig auch, wenn wir auf China schauen. Versuchen wir aber einmal einen nüchternen Blick.

China ist heute in absoluten Zahlen die zweitgrößte Volksiwrtschaft der Welt. Viele Indikatoren wie die Industrieproduktion, der Energieverbrauch, der Export, der Bausektor sind aus der Sicht Chinas sehr positiv. China hat, was die Innovationen angeht deutlich aufgeholt. Es findet Spitzenforschung in der Industrie, bei Bio- und Computertechnologien statt.

Auf den zweiten Blick ist die Situation jedoch nüchtern zu betrachten: Die USA haben bei einer Bevölkerung von etwa 320 Mio. ein BIP von 21 Bio. China hat 14 Bio, allerdings bei einer vier mal so großen Bevölkerung.

Japan hat 6 Bio. bei einem Zehntel der chinesischen Bevölkerung. Beim BIP pro Kopf liegt China hinter so reichen Ländern wie Costa Rica oder Rumänien.

Auch ist der Aufstieg Chinas durchaus nicht beispiellos. Wir haben Ähnliches in Südkorea und Japan gesehen. Über Japan wurde Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts ähnliches gesagt wie über China heute, freillig ohne die militärische Komponente.

Interessant ist aber, dass es keine erfolgreiche große Volkswirtschaft ohne Demokratie bzw. Rechtsstaatlichkeit gibt. Man kann eine Wirtschaft unter einer Diktatur päppeln, doch irgendwann kommt dieses Modell an Grenzen. Ökonomen sind sich einig, dass eine Wirtschaft nicht ohne Grenzen gedeiehn kann, wenn Besitzrechte nicht gesichert sind. Warum soll ich investieren, ein Unternehmen gründen oder ein Patent anmelden, wenn eine Kleptokratie mich jederzeit enteignen, meine Ideen stehelen oder mich gar ins Gefängnis werfen kann? Warum soll ich mich anstrengen, wenn der Staat mich jederzeit mundtot machen kann? Es gibt autoritätre Wirtschaftsmodelle, die funktionieren, etwa in Singapur. Es sind aber wie gesagt kleine Volkswirtschaften und selbst in Singapur sind die Besitzrechte gesichert.

Bisher war China vor allem stark darin, für den Rest der Welt zu produzieren. Auch hat man viel Know How in einzelnen Branchen aufgebaut und viele Methoden verbessert. Doch fehlt der entscheidende Spirit. Den finden wir in freien Wirtschaften wie natürlich den USA, weniger stark aber auch in der EU, Japan, Taiwan oder Südkorea. Wir finden ihn nicht in Russland, das noch kleptokratischer ist als China. Möchte man an die Weltspitze, muss man diesen spirit ausbilden, unter einer kommunistischen Diktatur ist es zwar denkbar, aber unwahrscheinlich.

Dieser Spirit heißt heute noch mehr als jemals zuvor: Innovation. Einen Computerchip zu verbessern, einen Algorithmus weiterzuentwickeln, bestehende genetische Manipulationen zu verbessern - eine gute Sache. Aber völllig neue Gen-Methoden, Arten der Informationsverarbeitung oder wissenschaftliche Erkennisse zu entwickeln, das ist entscheidend.

Was wir in den letzten Jahren gesehen haben macht das noch mal deutlicher. Bisher gab es einen gewissen Grad an Freiheit, wenn man sich nicht kritisch zu Politik bzw. der kommunistischen Partei geäußert hat. Mittlerweile sind aber zahlreiche Personen verstummt, die dem Personenkult des Präsidenten im Weg standen: Das reicht von Internetunterhmern, Teenie- und Filmstars.

Es ist kein gutes Zeichen, dass die KP wieder anfängt, sich in die persönlichsten Lebensbereiche der Menschen einzumischen: Es soll etwa reguliert werden, wie lange Kinder am Computer spielen.

Bisher hat China den Eindruck erweckt, die Probleme der Planwirtschaft im Griff zu haben. Das Problem Corona wurde in dessen Ursprungsland schneller gelöst als überall sonst. Das Bild bekommt aber Risse, wenn man sich die aktuellen Probleme mit der Energieversorgung anschaut.

Es mag sein, dass das Leben in Peking oder Shanghai vergleichbar gut oder besser ist als in vielen westlichen Metropolen. Für die Peripherie _Chinas gilt das sicher nicht.

Fassen wir die Probleme Chinas einmal nüchtern zusammen.

Ökonomisch ist China so groß, das kaum ein Weg an ihm vorbeiführt. Möglicherweise wird China schon bald die größte Volkswirtschaft der Welt, allerdings bei einer Bevölkerung, die größer ist als die der USA, Japans und der EU zusammengenommen.

Doch könnte zumindest das chinesische Exportmodell ins Wanken geraten. Corona und diverse andere Ereignisse haben gezeigt, dass die zu langen und komplexen Lieferkettenanfällig sind. Auch die Abhängigkeit von einem Anbieter ist gefährlich. Für die EU könnte es interessanter werden, in Osteuropa oder Nordafrika produzieren zu lassen. Die steigenden Energiekosten und Löhne in China lassen den Standort nicht mehr so attraktiv erscheinen. Auf mittlere Sicht kommt hinzu, dass China rasant altert, während es etwa in Südasien oder Subsahra-Afrika noch viele junge und günstige Arbeitskräfte gibt. Ein großer Teil der Textilproduktion findet bereits außerhalb Chinas statt. Die USA könnten verstärkt auf Lateinamerika setzen.

Chinas innere Probleme sind massiv. Durch die 1-Kind-Politik und Maos Mord-Orgien altert die Bevölkerung massiv, bevor sie in eine Phase der Sozialstaatlichkeit eingetreten ist. Das Problem haben auch andere Staaten. Sie profitieren jedoch von einer starken Einwanderung. Gewiss, die Einwanderung bringt andere Probleme mit sich. Klar ist aber, dass eine alterende Gesellschaft ohne junge Menschen nicht lange funktionieren wird.

Last not least bleibt da noch Chinas Außenpolitik zu erwähnen. China war nie besonders friedlich oder gnädig. Die Aggressivität ist aber ohne Beispiel: Da ist die massive Aufrüstung in Asien. Das Land scheint sich gleichzeitig mit seinen ostasiatischen Nachbarn und Indien anlegen zu wollen. Die USA haben China bereits als den größten Gegner ausgemacht und das trotz allem Geredes über islamischen Terror.

Und auch auf dem diplomatischen Parkett macht China keine gute Figur. Das Verhältnis zum Westen dürfte seit Mao nicht mehr so eisig gewesen sein. Es scheint so, als ob sich China mit ein paar Ausnahmen mit allen Staaten gleichzeitig anlegen möchte. Allerdings lässt sich mit den wenigen Verbündeten kein Staat gewinnen. In Zentralasien konkurriert man mit Russland und der Türkei. Afrika und Lateinamerika werden sich nicht vom Westen abwenden, weil sie sehen, wie China mit anderen Verbündeten umgeht. Australien zum Beispiel war einer der wichtigsten Geschäftspartner. Durch den Stop austarlischer Importe wollte man dem Land massiv schaden und hat nur sich selbst einen Image-Schaden und eine Knappheit an Kohle beschert. Corona hätte so in vielen anderen Staaten auftreten können. Doch die Unfähigkeit des Regimes hat die Krise ausarten lassen. Der Umgang mit Hongkong ist ohne Beispiel. Die ständigen Drohungen gegen Taiwan dürften anderen Staaten eine Mahnung sein.

Das lässt sich nur dadurch erklären, dass China sich mittlerweile für unbesiegbar hält. In der Tat ist es das auch. Niemand könnte heute ungestraft das chinesische Staatsgebiet bedrohen oder gar angreifen, mal abgesehen davon, dass das auch niemand in Erwägung zieht.

Andererseits hat China allerdings selbst auch nicht die Kapazität, einen größeren Staat anzugreifen. Die Eroberung Taiwans wäre ein Handstreich, der Image-Schaden wäre aber immens. Ein Angriff auf Indien hätte zur Folge, dass sich die Verbündeten Indiens noch stärker zusammentun. Schon jetzt rüsten alle Nachbarstaaten auf, die sich durch China bedroht fühlen. China hat hier, meines Erachtens ohne erkennbare Notwendigkeit, eine Gegenreaktion provoziert, die sich nicht mehr einfangen lässt. Meines Erachtens ist das Hybris und nicht strategische Weitsichtigkeit. Alle Nachbarn und Konkurrenten fühlen sich jeztt gezwungen, militärisch aufzurüsten und sich wirtschaftlich von China zu entflechten. Es geht nicht darum, China zu besiegen, sondern die Abschrekcung für ein chinesisches Manöver zu erhöhen.

Das führt uns aber auch zum Anfang zurück. Ein China, welches dermaßen auf den Putz haut ist für eine interdependente Weltwirtschaft kein verlässlicher Partner. Wer sagt uns, dass China nicht die Exporte wichtiger Güter stoppen wird, wenn sich ein Land nicht gewogen verhält? China wandelt sich von einem gefährlichen aber verlässlichen Partner in eine unberechenbare Einheit. Wie oben beschrieben wäre es auf mittlere Sicht klüger, die Lieferketten für wichtige Produkte zu verkürzen oder zumindest zu differenzieren. Billige Produkte sind nur dann hilfreich, wenn sie auch rechtzeitig geliefert werden. Die Transportkosten waren lange Zeit irrelevant, sie sind es aber icht mehr, wenn Energie teurer wird oder Personal für die Schiffe fehlt.

Natürlich haben viele Modelle Aufs und Abs erlebt. Die Demokratie hat aber einen Vorteil: Sie kann Fehl-Entwicklungen relativ gut reparieren.

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